Keine Rücksicht auf Kinder - Jobcenter-Odenwald.de Presseecho

www.Jobcenter-Odenwald.de Presseecho: Keine Rücksicht auf Kinder (Tageszeitung junge Welt):
Der Bedarf wächst: Nicht zuletzt die Sanktionen der Jobcenter 
dürften dazu führen, dass immer mehr Menschen auf die 
Tafeln angewiesen sind (Foto: Tafel.Erbach-Michelstadt.de)

"Keine Rücksicht auf Kinder
Jobcenter sanktionierten Hunderttausende Eltern, auch Alleinerziehende. Agenturen sperrten so häufig wie nie Arbeitslosengeld 

Von Susan Bonath
Im Land der Statistiken geht kaum etwas unter. Auch von Existenzangst und finanzieller Not Betroffene werden in der Bundesrepublik nüchtern in Tabellen erfasst, so beispielsweise sanktionierte Hartz-IV-Bezieher und ihre Kinder. Denn die Jobcenter kürzen nicht nur alleinstehenden Erwachsenen das Existenzminimum stufenweise bis auf null, sobald sie eine Auflage nicht einhalten. In knapp einem Drittel der Sanktionsfälle im Jahreszeitraum von Oktober 2016 bis September 2017 waren Familien mit Kindern, davon jedes dritte Elternteil alleinerziehend, betroffen. Das besagt eine Antwort der Bundesagentur für Arbeit (BA) auf eine Anfrage der Linkspartei-Kovorsitzenden Katja Kipping, die junge Welt vorliegt.

Insgesamt bezogen im genannten Zeitraum 4,3 Millionen »erwerbsfähige Hilfebedürftige« zwischen 15 und 65 Jahren Hartz IV. Gegen 420.000 Betroffene, also fast jeden Zehnten, verhängten Jobcenter 956.000 Sanktionen für jeweils drei Monate. Zahlreichen Beziehern kürzten sie also mehrfach die Grundsicherung. Allein im September 2017 befanden sich darunter mehr als 7.300 Personen, denen die Ämter die gesamten Bezüge einschließlich Mietbeihilfe gestrichen hatten. Rücksicht auf Kinder nahmen die Jobcenter dabei nicht. Knapp 310.000 Strafen betrafen Eltern, dabei 96.000mal Mütter und Väter, die ihre Kinder alleine erziehen.

»Jede Sanktion bedeutet, dass die ohnehin schon karge Hartz-IV-Leistung abgesenkt wird«, kritisierte Kipping. Bei Eltern schrumpfe das Haushaltsbudget für die ganze Familie weiter. »So trifft das Hartz-IV-Unrecht schon die Kleinsten in der Gesellschaft«, kritisiert die Linkspartei-Vorsitzende. Und weiter: Mit den Repressionen gegen die Ärmsten gefährde die Bundesregierung das Kindeswohl.


Um das Kindeswohl im Sozialrecht scheren sich die Regierenden allerdings seit der Einführung von Hartz IV im Jahr 2005 nicht. Auch in den Jahren vor der jetzigen Erhebung betrafen rund ein Drittel der Sanktionen Eltern mit Kindern. Vor elf Jahren hatte die CDU/CSU-SPD-Regierung unter Angela Merkel die Repressionen gegen 15- bis 24jährige Leistungsbezieher verschärft. Ihnen droht seit 2007 bereits beim ersten Verstoß gegen Auflagen die Streichung des Regelsatzes, beim zweiten »Vergehen« auch die der Miete. Im Jahr 2016 kürzten Jobcenter gut 30.000 Bedürftigen aus dieser Altersgruppe die Existenzsicherung, 2.300 davon waren minderjährig.

Eigentlich sollte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im vergangenen Jahr darüber entscheiden, ob Sanktionen gegen die Grundrechte auf Menschenwürde, körperliche Unversehrtheit und freie Berufswahl verstoßen. Das Verfahren zu dieser Beschlussvorlage vom Sozialgericht Gotha liegt jedoch bis heute in Karlsruhe de facto auf Eis. Im Dezember vorigen Jahres nannte der damalige BverfG-Sprecher Michael Allmendinger als Grund Überlastung. »Da kam einiges dazwischen, zum Beispiel die Sache mit dem dritten Geschlecht«, sagte er gegenüber jW. Der jetzige Sprecher Max Schoenthal erklärte am Montag, auch weiterhin sei ein Termin zur mündlichen Verhandlung nicht absehbar. An der Verzögerung werde »deutlich, dass die konstanten Verstöße gegen das Recht auf das physische und soziokulturelle Minimum augenscheinlich der Politik und dem BVerfG völlig egal sind«, resümierte der Sozialrechtler Harald Thomé dazu am Sonntag.

Von finanziellen Strafen sind allerdings nicht nur Bezieher von Hartz IV, sondern auch die von Arbeitslosengeld I (ALG I) betroffen, obwohl es sich dabei um eine Versicherungsleistung handelt, für die jeder Erwerbstätige jeden Monat 1,5 Prozent seines Bruttolohns in die Arbeitslosenversicherung einzahlt. Die gleiche Summe muss der Unternehmer dazugeben. Doch wer zum Beispiel seinen Antrag ein paar Tage zu spät einreicht oder Unterlagen nicht pünktlich beibringen kann, erhält eine Sperrzeit. Drei Monate lang gibt es dann keinen Cent Arbeitslosengeld – unabhängig davon, ob Kinder im Haushalt leben oder nicht.

Wie nun am vergangenen Freitag das Onlineportal »O-Ton Arbeitsmarkt« unter Berufung auf neue Zahlen der Bundesagentur für Arbeit (BA) berichtete, wurden im vergangenen Jahr insgesamt 810.000 ALG-I-Sperren verhängt, rund 67.500 pro Monat. Im Verhältnis zu den Leistungsberechtigten seien das so viele Sperrzeiten wie noch nie gewesen, kommentierte das Portal die neue Statistik. Hervorzuheben ist dabei, dass im Monatsdurchschnitt des gesamten Jahres 2017 nur rund 744.000 ALG-I-Berechtigte bei den Agenturen gemeldet waren, aktuell sind es rund 820.000. Für die hohe Zahl an Sperrzeiten nennt die BA auch einen Grund: Hier verhielten sich die Leistungsberechtigten nicht wie bei Hartz IV »sozialwidrig«, sondern »versicherungswidrig«, heißt es.

Kommentare